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Gesundheit

Rückenmarksverletzung: Funkstille zwischen Gehirn und Körper

29. November 2022 4 min. Lesezeit

Jährlich erleiden zwischen 250.000 und 500.000 Menschen eine Rückenmarksverletzung. Zumeist sind Verkehrsunfälle, Stürze oder Sportunfälle die Ursachen. Damit treffen Rückenmarksverletzungen oft auch junge Personen.

Eine Rückenmarksverletzung ist ein schwerwiegender Vorfall mit weitreichenden Folgen. Lesen Sie in unserem Blog Artikel was bei einer Rückenmarksverletzung passiert, welche Folgen auftreten können und wie die Rehabilitation aussehen kann.

Junger Mann sitzt im Rollstuhl

Was passiert bei einer Rückenmarksverletzung?

Das Rückenmark ist Teil des zentralen Nervensystems. Es fungiert als Informationsvermittler vom Gehirn zum Körper. Vereinfach ausgedrückt gibt das Gehirn einen Befehl, das Rückenmark leitet den Befehl weiter und der Körper führt den Befehl aus.

Ähnlich funktioniert es mit Reizen aus dem Körper: Berührt uns jemand von hinten an der Schulter, leiten Nervenfasern die Information über das Rückenmark an das Gehirn weiter. Das Gehirn gibt den Befehl „Umdrehen“.

Bei einer Verletzung des Rückenmarks fällt der Vermittler aus. Signale aus dem Gehirn (efferent) sowie aus der Peripherie zum Gehirn (afferent) werden nicht mehr oder nur teilweise weitergeleitet.

Sind motorische Nervenfasern betroffen, kommt es zu Schwäche- oder Lähmungserscheinungen. Bei Verletzungen der sensorischen Fasern sind Empfindungen wie Schmerz, Druck oder Temperatur eingeschränkt oder werden nicht mehr wahrgenommen.

Bei einer vollständigen bzw. teilweisen Verletzung des Rückenmarks spricht man von einer Paraplegie (Rumpf und Beine sind betroffen) oder von einer Tetraplegie (Rumpf, Arme und Beine sind betroffen).

Kompletter vs. inkompletter Querschnitt

Bei einer kompletten Querschnittslähmung wurde das Rückenmark so schwer verletzt, dass alle Funktionen und Empfindungen unterhalb der Verletzung ausfallen. Die betroffenen Körperteile sind gelähmt.

Bei einer inkompletten Querschnittlähmung ist das Rückenmark geprellt oder gequetscht. Es bleiben Restfunktionen in Bewegung und Sinneswahrnehmung erhalten. Die Höhe und der Schweregrad der Verletzung sind für die auftretenden Beeinträchtigungen ausschlaggebend.

Arzt hält Modell einer Wirbelsäule in der Hand

Rückenmarksverletzung: Die Höhe ist entscheidend

Je höher eine Rückenmarksverletzung auf der Wirbelsäule liegt, umso weitreichender sind die Auswirkungen für den Patienten.

Besonders tragisch sind Rückenmarksverletzungen im Halswirbelbereich bis zum ersten Brustwirbel (C1-T1). Bei Verletzungen der obersten Halswirbel (C1-C4) sind Patienten zum Teil auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Bei einer Rückenmarksverletzung im Halswirbelbereich spricht von einer Tetraplegie (Lähmung von Armen, Beinen, Rumpf bzw. kompletter Querschnitt) oder Tetraparese (Schwäche von Armen, Beinen und Rumpf bzw. inkompletter Querschnitt).

Tritt eine Verletzung zwischen dem 2. und 12. Brustwirbel (T2-T12) auf, können Patienten ihre Arme und Hände bewegen und verfügen über eine eingeschränkte Rumpfkontrolle. Die Beine sind teilweise oder vollständig gelähmt. Man spricht von einer Paraplegie (Lähmung von Rumpf und Beinen bzw. kompletter Querschnitt) oder Paraparese (Schwäche von Rumpf und Beinen bzw. inkompletter Querschnitt).

Bei einer Rückenmarksverletzung im Lendenwirbelbereich (L1-L5) bleibt eine eingeschränkte Kontrolle über Hüfte und Beine vorhanden. Auch bei einer schweren Schädigung oder kompletten Durchtrennung des Rückenmarks können Betroffene teilweise kurze Strecken mit Gehhilfen bewältigen.

Verletzungen im Sakralbereich (S1-S5, zwischen Becken und Steißbein) führen zu einem Funktionsverlust in Hüfte, Beinen, Knöchel und Füßen. Patienten können zumeist selbstständig gehen und Treppensteigen, zum Teil sind Stützen und/oder Gehhilfen notwendig.

Folgen einer Rückenmarksverletzung

Eine Rückenmarksverletzung ist eine schwerwiegende Verletzung mit weitreichenden Folgen. Neben Lähmungserscheinungen können auch die vegetativen, nicht-willentlich beeinflussbaren Körperfunktionen wie Verdauung, Ausscheidung, Durchblutung, Temperaturregulation und Sexualfunktion beeinträchtigt sein.

Zusätzlich können Komplikationen wie Spastiken, übersteigende Reflexe, Druckgeschwüre durch Wundliegen, erhöhte Infektanfälligkeit sowie Osteoporose auftreten.

Häufig übersehen werden soziale, finanzielle und psychologische Auswirkungen im Leben mit einer Beeinträchtigung. Das gesamte Lebensumfeld und der Betroffene selbst muss lernen mit der neuen Situation umzugehen. Wohnumfeld, Transport, Freizeitaktivitäten und Mobilität müssen angepasst werden. Professionelle Hilfe kann eine wertvolle Unterstützung sein, um sich im neuen Leben zurechtzufinden.

Rehabilitation nach einer Rückenmarksverletzung

Jede Rückenmarksverletzung ist anders. So ist auch die Rehabilitation bei jedem Patienten anders. In der Frühphase geht es vor allem darum, lebenswichtige Körperfunktionen wie Atmung und Kreislauf zu stabilisieren. 

Nach der Akutphase erfolgt in der Regel eine Überweisung in eine Rehaklinik, wo sich ein Team aus Ärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Pflegekräften, Psychologen, Sozialarbeitern und Ernährungsberatern um den Patienten kümmert. Je nach Schweregrad der Beeinträchtigung ist es langfristig das Ziel, den Patienten ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen.

Junger Mann im Rollstuhl in der Physiotherapie

Die Rehabilitation nach einer Rückenmarksverletzung umfasst folgende Schwerpunkte:

  • Erhaltung und Stärkung der vorhandenen Muskelfunktionen sowie Wiederherstellung der Grob- und Feinmotorik durch Ergo- und Physiotherapie, medizinische Trainingstherapie sowie robotik-gestützte Therapie
  • Erlernen von Strategien zur Bewältigung von Alltagsaufgaben
  • Einsatz von Hilfsmitteln für mehr Unabhängigkeit und Mobilität
  • Aufklärung und Prävention von Sekundärkomplikationen
  • Beratung und Unterstützung bei der Bewältigung der neuen Lebenssituation (häusliches Umfeld, Schule/Arbeit, Freizeitaktivitäten usw.)

Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft sind Rückenmarksverletzungen noch nicht heilbar. Jedoch weiß man, dass verletzte Nervenzellen im Rückenmark zur Regeneration fähig sind. Darauf aufbauend arbeiten Wissenschaft und Technik weltweit daran, Patienten mit einer Querschnittlähmung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und Rückenmarksverletzungen womöglich einmal heilen zu können.


Quellen:

De Gruyter, W. (2017). Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 267. Auflage. Berlin / Boston

Gratzl O, Merlo A, Rückenmarksverletzungen, in: Siewert J R, Chirurgie, Springer Medizin Verlag Heidelberg; 2006. 203-204.

International Perspectives on Spinal Cord Injury, 2013

Wings for Life – Spinal cord research foundation


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